„Die Lage dieses Orts ist für Handel und Schifffahrt äußerst günstig. An der schiffbaren Geeste, die sich in die Weser ergießt und einen natürlichen Hafen bildet, könnte Lehe zu den ersten Handlungsplätzen des nördlichen Deutschlands erhoben werden, vielleicht nach einem Menschen-Alter der Stadt Bremen den Rang abgewinnen […]. Die Vorzüge, welche Lehe vor Bremen seiner Lage nach hat, sind nicht zu verkennen. – Hier können die größten Schiffe einlaufen, von Bremen werden sie durch Sänden und Untiefen zurückgehalten, hier ist das Fahrwasser beim stärksten Froste vom Eise frei, dort ist die Schifffahrt gänzlich gesperrt.“
Richter Ribbentrop aus Lehe, zitiert nach Scheper (1977:47)
Die ältesten Siedlungsgebiete Bremerhavens liegen auf dem vor der Flut geschützten Geestrücken der Hohen Lieth. Hier bot „[...] der insel- und festungsartige Charakter der Landschaft dem Handel Schutz, den dieser bekanntlich immer und zu allen Zeiten benötigte“ (Scheper 1977:18). Durch diese naturräumlichen Voraussetzungen war es möglich, das im Gebiet des heutigen Bremerhavens seit etwa 8000 bis 3500 v.d.Z. ohne Unterbrechung gesiedelt werden konnte (vgl. Scheper 1977:20). Spricht man über die Geschichte der Stadt Bremerhaven, meint man meist die Geschichte des Hafens. Diese Herangehensweise wird in diesem kurzen Abriss erweitert durch einen Blick auf die Geschichte Bremerhavens als Geschichte der Machtansprüche zwischen Preußen und Bremen bzw. zwischen Bremerhaven und den früher eigenständigen Gemeinden Lehe und Geestemünde.
Die erste urkundliche Erwähnung der Stadt findet sich im Jahre 1290 mit einer Nennung des heutigen Stadtteils Lehe [1]. Im 17. Jahrhundert versuchte Schweden mit verschiedenen Unternehmungen im europäischen Raum Macht und Einfluss zu gewinnen. Dazu gehörte auch die Sicherung mehrere Besitzungen im Bereich der Wesermündung und der Unterelbe (u.a. das Herzogtum Bremen). Zur Erschließung des Nordseehandels beschloss man 1672 eine Festung bei Geestendorf anzulegen. Für die Anlage, die später den Namen Carlsburg erhielt, waren fast doppelt so viele Bauplätze vorgesehen, wie für die 1872 gegründete Siedlung Bremerhaven. Angesiedelt werden sollte vor allem reiche, verfolgte Minderheiten wie Hugenotten, portugiesische Juden oder katholische Engländer. Aufgrund von Geldmangel blieb jedoch neben den Truppen, die den Bau der Festung beaufsichtigten, der Proviantmeister Claus Öhr der einzige Einwohner der Festung. Schweden musste seinem Verbündeten Frankreich 1647 in den Krieg gegen Brandenburg beistehen, was in einer Schleifung der Carlsburg endete (vgl, Scheper 1977:40ff.). 1680 erhielt Schweden seine Besitzungen zurück. Ein Wiederaufbau der Carlsburg scheiterte jedoch in der Folgezeit mehrere Male aus unterschiedlichen Gründen (u.a. an Mangel an Siedlern, Fluten, Kriege). Die Gründung der Carlsburg 1672 bezeichnet Scheper (1977:48) als „die erste Gründung Bremerhavens“.
Ab etwa 1783 entwickelte sich mit der Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika für Bremen die Möglichkeit des transatlantischen Handels. Weiterhin blühte zu dieser Zeit der Ostasienhandel auf und Bremen bekam die Auswirkungen der Industrialisierung zu spüren. Der Bremische Außenhafen Vegesack war durch die Versandung der Weser jedoch für Seeschiffe nicht mehr zu erreichen. Aus diesem Grund wurde die Ladung in oldenburgischem Gebiet auf Kähne umgeladen. Um dieser Situation zu entgehen, dachte man in Bremen spätestens seit 1795 über den Bau eines Hafens in Lehe nach (vgl. Scheper 1977:50f.).
Diesen Plan in die Tat umzusetzen, war die Bestimmung des damaligen Bremer Bürgermeisters Johann Smidt, der sich im Juni 1825 erstmals – in einem verschwiegenen Rahmen – über seine Pläne, einen Hafen zu bauen, äußerte. Kaum zwei Jahre später wurde ein Vertrag abgeschlossen, der einen Gebietsabtritt Hannovers an Bremen von 88,7 ha Land in die Wege leitete. Darin wurde geregelt, dass Bremen die Hoheit über das Gebiet der ehemaligen Carlsburg (exklusive der Militärgewalt) erhielt (vgl. Scheper 1977:53). Für die Planung ließ man Jacobus Johannes van Ronzelen aus dem ingenieurtechnisch weit entwickelten Holland kommen. Der van Ronzelen'sche Plan lässt sich heute noch in der Innenstadt Bremerhavens wiedererkennen. Der Hafen wurde 1830 unfreiwillig durch die nichtangekündigte Draper eingeweiht. Van Ronzelens Pläne erregten auf Grund ihrer ingenieurstechnischen Leistung viel Aufsehen. Es wird vermutet, dass die Landgewinnungsszene in Goethes Faust II von dem Projekt beeinflusst wurde. (vgl. Scheper 1977:54ff.).
1866 annektierte Preußen das Königreich Hannover, was zur Folge hatte, dass Bremerhaven nun von preußischem Gebiet umringt war. Kurz darauf wurde der erste Vorschlag einer Zusammenlegung der Hafenstädte Bremerhaven und Geestemünde öffentlich, ein Plan, der jedoch selbst von seinen Vertretern nicht so recht ernst genommen wurde (vgl. Scheper 1977:72). Einer Vereinigung der drei Gemeinden Bremerhaven, Geestemünde und Lehe kam man erst wieder zu Beginn des 20. Jahrhunderts näher. Anlässlich einer Ausstellung schrieb 1913 der damalige Oberlehrer Bremerhavens Hermann Strunk über die drei Gemeinden: „Und tatsächlich ist der Komplex der drei Unterweserorte Bremerhaven, Geestemünde und Lehe räumlich und wirtschaftlich eine Einheit. Leider aber fühlen sich die drei Orte mehr als Rivalen denn als Bundesgenossen und verbrauchen darum ihre geistige, wirtschaftliche und politische Kraft zu einem nicht unbeträchtlichen Teil zu einem Kleinkrieg [...]“ zitiert nach SCHLEPER (1977:94). Nach und nach bekamen die drei Gemeinden städtische Verfassungen: Bremerhaven 1851, Geestemünde 1913 und – obwohl es weitaus mehr Einwohner als Bremerhaven und Geestemünde hatte – Lehe erst 1920, was mit Lehes schwacher Wirtschaftsleistung zu erklären ist. Tabelle 1 gibt einen Überblick über einige Entwicklungen im Bildungs- und Kulturwesen der Stadt Bremerhaven in den Jahren zwischen 1831 und 1886. Hierin zum Ausdruck kommt Bremerhavens „urbaner Vorsprung“ (Scheper 1977:94) gegenüber seinen Nachbargemeinden.
Exemplarische Entwicklung der Kultur- und Bildungseinrichtungen in Bremerhaven |
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1831 |
Gründung der privaten Elementarschule |
1835 |
Anschaffung einer Bibliothek |
1836 |
Gründung der höheren Schule für Mädchen |
1839 |
Gründung der höheren Töchterschule |
1939 |
Gründung der höheren Schule für Knaben |
1867 |
Gründung des städtischen Theaters |
1867 |
Gründung des Museums für Natur- und Völkerkunde |
1873 |
Gründung der Stadtbibliothek |
1884 |
Gründung der Maschinistenschule |
1886 |
Gründung eines Kunstvereins |
Tabelle 1: Kultur- und Bildungseinrichtungsentwicklung in Bremerhaven. Quelle: Daten nach Scheper (1977).
Dieser „urbane Vorsprung“ bestand jedoch nur im Hinblick auf die Nachbargemeinden. Zwar hatte Bremerhaven im Besonderen durch seinen Auswandererverkehr und seine Handelsbeziehungen mit den USA eine wirtschaftlich gute Situation errungen, im Vergleich mit Bremen, das seit der Weserkorrektion Ende des 19. Jahrhunderts für Schiffe wieder gut zu erreichen war, stand Bremerhaven jedoch schlecht da. Während sich der wirtschaftlich so wichtige Norddeutsche Lloyd und andere wichtige Speditionsunternehmen zwar Zweigstellen in Bremerhaven einrichtete, blieben deren Zentralen in Bremen. Bremerhavens Hafen bestand am Ende des 19. Jahrhunderts weitestgehend aus Schuppen, die einer kurzen Zwischenlagerung dienten (vgl. Scheper 1977:174).
Die Entwicklungen des Ersten Weltkrieges führten zu einer Stationierung zahlreicher Kriegsschiffe in Bremerhaven und die Nachkriegszeit mit der anschließenden Wirtschaftskrise führten wie allenorts zu Arbeitslosigkeit, Hunger und vereinzelten Aufständen. Wie in vielen Städten wurde auch in Bremerhaven nach Kriegsende ein Arbeiter- und Soldatenrat eingesetzt, der sich wiederum redlich bemühte gegen die Dreiteilung der Städte vorzugehen. Waldemar Becké, seit 1913 Stadtdirektor in Bremerhaven, wies Anfang der 20er Jahre in einer Denkschrift auf die drastischen negativen Auswirkungen dieser Teilung hin: „Die kommunalpolitische Trennung der drei Städte hat bewirkt, daß drei städtische Gasanstalten, drei städtische Elektrizitätswerke, drei städtische Wasserwerke eingerichtet und betrieben werden, daß drei selbstständige städtische Sprarkassen bestehen, daß zwei Schlachthöfe betrieben werden, daß drei städtische Krankenhäuser […] geschaffen sind, daß drei getrennte Friedhofsverwaltungen bestehen, daß drei städtische Bauämter für Hochbau, Tiefbau und Straßenbau bestehen, daß drei Sonderbetriebe für Straßenreinigung und Müllabfuhr betrieben werden, daß drei höhere Schulen für Mädchen, vier höhere Schulen für Jungens, drei Fortbildungsschulen, zwei Seemaschinistenschulen außer den erforderlichen Volksschulen bestehen“ zitiert nach Scheper (1977:128). Bestrebungen einer Städtevereinigung mussten jedoch aufgrund der Staatengrenzen wiederum scheitern.
Ab 1921 arbeiteten verschiedene Kräfte auf eine Vereinigung der Städte Geestemünde und Lehe hin, ein Plan, der größere Erfolgsaussichten als eine Vereinigung aller drei Städte hatte, da beide in Preußen lagen. Wie im Zitat von Becké deutlich wird, wäre eine Vereinigung der Städte für alle ein wirtschaftlicher, finanzieller und kultureller Vorteil gewesen. Ein weiterer Argumentationspunkt, der vorgetragen wurde war, dass das Gebiet zwischen den Städten so hätte durch Industriebetriebe besiedelt werden können – eine Hoffnung, die, wie sich später herausstellen sollte vergebens war (vgl. Scheper 1977:147). Einer der schärfsten Kritiker der Vereinigung Geestemündes und Lehes, der Politiker Erich Koch-Weser schrieb 1924 in einem Zeitungsartikel, dass alle drei Regionen zusammengehören würden und eine Vereinigung von nur zwei, statt drei Städten zu neuen Rivalitäten führen würde. Metaphorisch beschrieb er eine Vereinigung der beiden Städte als ein „Gebilde aus Schwanz und Kopf ohne Mittelstück“ zitiert nach Scheper (1977:150).
Nach zahllosen Debatten, erhitzen Gemütern, Rücktritten und unzähligen Abstimmungen in verschiedensten Gremien wurden Geestemünde und Lehe 1924 zur Stadt Wesermünde vereingigt. Trotz der daraus entstehenden Einsparungen blieb Wesermünde aufgrund der Tatsache, dass es sich hauptsächlich um einen Arbeitervorort Bremerhavens handelte wirtschaftlich weit hinter Bremerhaven zurück (vgl. Scheper 1977:153).
Nach der Wirtschaftskrise und der Hyperinflation von 1923 begann sich die Fischwirtschaft allmählich wieder zu beleben. Dies lag unter anderem an technischen Neuerungen wie der Erfindung des Fischfilets und des tiefgekühlten Fischs sowie einer intensiven Bewerbung des Verzehrs von Fisch. Diese Entwicklung kam Bremerhaven sehr zugute und kulminierte 1919 in der Gründung des Instituts für Seefischerei.
Die durch die Vereinigung der Städte Lehe und Geestemünde entstandene Konkurrenzsituation zwischen Bremerhaven und Wesermünde entstpannte sich erst, als 1930 ein Vertrag zwischen Preußen und Bremen geschlossen wurde, der dazu führte, dass der Fischereihafen und zahlreiche städtische Institutionen zusammengelegt wurden.
Erst 1939 erfolgte eine Trennung Bremerhavens von Bremen und eine Eingemeindung in Wesermünde. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt stark in Mitleidenschaft gezogen und 1947 wieder in Bremerhaven umbenannt. Die heutige Einwohnerzahl beträgt etwa 115000 (vgl. Internetpräsenz der Stadt Bremerhaven).
Quellen:
Scheper, B. (1977): Die jüngere Geschichte der Stadt Bremerhaven. Bremerhaven.
Internetpräsenz der Stadt Bremerhaven: http://www.bremerhaven.de/meer-erleben/service-infos/stadtgeschichte/unsere-stadtgeschichte.24275.html, zuletzt eingesehen am 27.05.2010.
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[1] Diese Zahl stammt aus Scheper (1977:29), die Stadt Bremerhaven nennt auf ihrer Webpräsenz dagegen das Jahr 1237: http://www.bremerhaven.de/meer-erleben/service-infos/stadtgeschichte/unsere-stadtgeschichte.24275.html, 27.05.2010.