Diese Ausführungen basieren im Wesentlichen auf Danielzyk & Wood (2006).
Unter dem Begriff Devolution versteht man Prozesse, die in einem Land mit einem Machtzentrum dazu führen, dass die Bewohner einer Region gegen diese aufbegehren (friedlich oder nicht) und nach eigener Macht für ihre Region verlangen oder erwerben. Devolutionsprozesse sind typisch für Europa. Besonders in Osteuropa herrschen sie vor:
In recent decades Eastern Europe has been a cauldron of de-volution as Yugoslavia and Czechoslovakia collapsed, Moldova fragmented, and Montenegro seceded from Serbia-Montenegro in 2006. (De Blij & Muller 2008:70)
Prototypisches Beispiel für einen Fall von europäischer Devolution ist Großbritannien, das mit England, Schottland, Wales und Nordirland schon an sich aus mehreren Teilen besteht. Nach der Regierungsübernahme durch die Labour Party 1997 ließ die britische Regierung Schotten und Waliser sogar darüber abstimmen, ob sie mehr Macht in ihren regionalen Parlamenten wollten. Schon die Vorgängerregierung hatte 1994 sogenannte Government Offices for the English Regions einrichten lassen, deren Aufgabe in der Umsetzung der zentralistisch bestimmten Politik bestand (sie wurden 2011 geschlossen). 1999 wurden sogenannte Regional Development Agencies eingerichtet, die sich um ökonomische Entwicklungsaufgaben kümmern sollten. Auch diese wurden allerdings 2012 wieder abgeschafft. Heute übernehmen deren Aufgaben freiwillige Einrichtungen, die aus einer Partnerschaft von öffentlicher Hand und Unternehmen getragen werden.
2004 kam es zu einer Volksbefragung in Nordostengland über die Einführung von gewählten Regionalversammlungen. Allerdings fiel diese Volksbefragung, sehr zur Überraschung der Labour-Regierung, negativ aus (seit 2010 ist wieder eine konservative Regierung an der Macht).
Auch Frankreich ließ die Corsen 2003 abstimmen, ob sie eine begrenzte Automonie wollten. Ein Angebot, das den Corsen nicht weit genug ging und daher abgelehnt wurde. Um der Devolution im Land entgegenzuwirken, versucht Frankreich nun seine auf napoleonische Zeiten zurückgehenden 96 départements zu reformieren:
A new subnational framework of 22 historically signicant pro-vinces, groupings of départements called regions [...], has been established to accommodate the devolutionary forces felt throug-hout Europa, and indeed, throughout the world. (De Blij & Muller 2008:77)
Diese Regionen sind weiterhin in Paris vertreten, verfügen jedoch über erweiterte Unabhängigkeit, die z.B. darin zum Ausdruck kommt, dass sie über ihre Steuern selbst bestimmen können.
Bei der Devolution geht es also um die Übertragung exekutiver und legislativer Gewalt von einer zentralstaatlich organisierten Ebene auf eine regionale. In Falle von England bedeutet dies gleichzeitig aber auch keine Antastung des Prinzips der zentralstaatlichen Organisation, wie man vielleicht auf den ersten Blick vermuten könnte im Gegenteil können die übertragenen Kompetenzen jederzeit wieder zurückgenommen werden. Im Gegensatz dazu steht der Begriff Föderalismus für eine Politik, bei der die Macht zwischen einer Zentralregierung und regionalen Regierungen geteilt wird. Als zu Beginn des 18. Jahrhunderts Schottland und England vereinigt wurden, wählte man die Option einer Zentralregierung, wobei allerdings mit einer quasi-föderalen Regelung einige Konzessionen an die Schotten gemacht wurden.Bis in die 1960er Jahren wurden von London aus immer wieder Zugeständnisse an Iren, Schotten und Waliser gemacht, deren Stimmen nach einer Dezentralisierung der Macht immer stärker wurden. 1978 wurde schließlich im Wales und im Scottland Act beschlossen, dass nationale Parlamente in den Regionen eingerichtet werden könnten, wenn sich die Bevölkerung in einer Volksbefragung dafür aussprächen – jedoch stimmten Schotten und Waliser gegen die Einrichtung solcher Parlamente (Danielzyk & Wood 2006:12f.).
Allerdings war das Thema nach dem Wahlsieg der Konservativen 1979 erst mal wieder vom Tisch – die bis 1997 an der Macht blieben. Nach deren Wahlsieg versprachen sie den keltischen Ländern wieder mehr Macht einzuräumen. 1997 kam es so zu einem erneuten Referendum in Schottland und Wales. Beide gingen, wenn in Wales auch sehr knapp positiv aus. Seitdem gibt es
in Schottland ein eigenes Parlament, das in fragen der Bildung, Gesundheit, der Justiz, innere Angelegenheiten, der Wirtschaft, Umwelt, Verkehr, Kultur und Landwirtschaft eigene Gesetze erlassen darf
in Wales die Waliser Nationalversammlung, die kein Parlament dar-stellt, aber im Einzelfall gesetzgeberische Kompetenzen vom britischen Parlament zugesprochen bekommen kann
in Nordirland die Nordirland-Versammlung, die dem Parlament in Schottland ähnelt
Ein weiterer Schritt zur Devolution war die Wahl eines Bürgermeisters in London 2000. Vorher gab es diesen Posten schlicht nicht. Nach der Wiederwahl der Labour-Regierung 2001 versuchte man die demokratisch legitimierten, also direkt gewählten, Regionalparlamente weiter zu stärken und beschloss das Programm Your Region Your Choice, allerdings richteten sich die Devolutionsprozesse nur an Regionen, deren Bevölkerung explizit nach Dezentralisierung verlangte (Devolution auf Nachfrage).
ie sich in Großbritannien vollziehenden Devolutionsprozesse waren immer wieder Zielpunkt unterschiedlichster Kritik. Einerseits ist festzustellen, dass eine Devolution von Oben von der Bevölkerung nicht immer positiv aufgenommen wird. Auch die Industrie sieht Dezentralisierungstendenzen nicht immer gern. So bezog etwa die Conferderation of British Industry immer wieder eine Gegenposition zu Devolution,
weil man einen Aufbau von Bürokratie, die Verzögerung von Entscheidungen und einen hohen Kostenaufwand befürchtete. Bei einem Referendum über die Einführung einer demokratisch legitimierten Regional Assembly sprach sich die Bevölkerung Nordostenglands im November 2004 dann auch mit großer Mehrheit gegen eine solche Einrichtung aus.
Danielzyk, R. & Wood, G. (2006): Regional Governance in England. In: Geographische Rundschau, Mai 5/2006, S. 12-20.
De Blij, H. J. & Muller, P. O. (2008): Geographie. Realms, Regions, Concepts. Hoboken: John Wiley & Sons.